Der mit den Worten malt

Der Würselener Christoph Leuchter und sein erster Roman „Letzter Akt“.
Er ist beim Steidl-Verlag erschienen und wird nun in Aachen präsentiert.

Von Andreas Herkens

Wenn die These im Raum steht, dass die Einrichtung eines Wohnzimmers eine Menge über die Menschen, die dort leben, aussagt, dann ist dieses Wohnzimmer der beste Beweis für ihre Richtigkeit. Die eine Wand ist eine Bücherwand. Regale voller Bücher. Nicht protzig. Keineswegs. Hier will nicht jemand zeigen, was er hat.

Sie ist auch nicht einfach vollgestopft, diese Bücherwand. Lücken vermitteln einen luftigen Eindruck. Und sind doch nicht die Hauptsache. Natürlich nicht. Das sind die Bücher. Ausgewählte Bücher. An einer anderen Wand – wie die übrigen weiß – steht ein Klavier, ein schwarzes Klavier. Es glänzt. Man könnte sich darin spiegeln. Will es aber gar nicht.

Bücher und Klavier, Literatur und Musik. Sie prägen dieses lichte Zimmer. Und auch das Leben von Christoph Leuchter. Sie sind zweifellos zwei wichtige Pole seines Lebens. Christoph Leuchter ist Autor und Musiker. Ein, man kann es durchaus so sagen, Künstler, der mit Worten ebenso zu jonglieren weiß wie mit Tönen. Der mit beiden in übertragenem Sinne malen kann. Eben wie ein Künstler.

Jetzt ist sein Roman „Letzter Akt“ veröffentlicht worden. Und zwar nicht irgendwo, sondern beim renommierten Steidl-Verlag. In dessen aktuellem Katalog – an sich auch schon ein schmuckes Bändchen – steht der 43-jährige Würselener mit seiner Neuerscheinung zwischen Namen wie Erich Loest und Günter Grass. Beachtlich!

Wie es dazu kam? Christoph Leuchter schickte seinen zweiten Roman (der nun im kommenden Jahr erscheinen soll) an verschiedene Verlage. „Bei Steidl gab es relativ schnell Aufmerksamkeit“, erzählt der Familienmensch und Vater von drei Kindern mit einem Lächeln. „Und es war der erste Verlag, der sagte, dass er auch das erste Buch herausbringen will.“ Was nun passiert ist. Womit die Sache schnell klar war. „Wir wollten einfach dasselbe, und sie ließen mir relativ viel Freiheit.“

Irgendwie typisch

Über diesen für ihn wichtigen Schritt spricht er ganz ruhig, fast schon nüchtern. Irgendwie typisch. Typisch für Christoph Leuchter, der sehr zurückhaltend ist, was seine Person angeht, aber sehr engagiert in dem, was er tut. Das kennen und schätzen die Menschen, die mit ihm zu tun haben. Beispielsweise auch die Sängerinnen und Sänger vom Neuen Chor Würselen, den er seit nunmehr zehn Jahren leitet.

Aber hier und jetzt geht es nicht um den Chor, auch nicht um die Band, mit der Christoph Leuchter, der Pianist und Sänger, 2010 die CD „Wo du bist“ eingespielt und herausgebracht hat. Eigene Songs. Mit deutschen Texten. Sondern hier geht es um den Schriftsteller Christoph Leuchter. Um „Letzter Akt“, seinen Roman. Der wird präsentiert am 15. März bei einer Lesung in der Buchhandlung Schmetz in Aachen.

Der Roman hat schon eine lange Historie hinter sich. Die erste Version entstand bereits vor zehn Jahren, wurde immer wieder überarbeitet – unterstützt von drei Stipendien. Weitere Fassungen folgten – bis die heutige fertig war. Leuchter erzählt eine Geschichte, die in ihrer Art bestens passt zu ihm – und somit irgendwie auch einiges über den Autor aussagt. Eine Geschichte, die ruhig verläuft, wenn auch mit überraschenden Windungen, die nicht viel Aufhebens um sich macht, nicht auf vordergründige Effekte aus ist, die aber für sich einnimmt, fesselt, unbedingt zu Ende gelesen werden will.

Es geht um ein Dorf, ein Dorf in der Toskana, ein „vergessenes Dorf“. Der genaue Handlungsort bleibt unklar, ist aber auch nicht so wichtig. Eines Tages findet sich dort eine Leiche. Ein Mann, erhängt in einem Schuppen. Das sorgt natürlich für Aufregung in dem verschlafenen Nest mit seinem geruhsamen Tagesablauf... Das mutet zunächst an wie eine Kriminalstory, ist es aber letztlich gar nicht.

Im Mittelpunkt stehen hier sorgsam gezeichnete Typen mit ihren Eigenheiten, ihren Befindlichkeiten, ihren Werdegängen. Da ist etwa der Commissario, der aus Florenz anreist, um den vermeintlichen Kriminalfall zu klären, der sich dann aber mit den eigenen Problemen, die er mit sich herumschleppt, auf die Dorfgemeinschaft einlässt, sich verliebt in Marie, deren Sprechen wie Musik ist für ihn.

Marie, die Französin, ist die Gattin eines deutschen Professors, der sich in das Dorf zurückgezogen hat, aber eine ganz besondere Vergangenheit mit sich trägt, die ihn geprägt und nicht losgelassen hat. Um ihn strickt Christoph Leuchter eine Parallelhandlung, die in die Jugend des Professors zurückgeht, den aufkommenden Nazi-Terror einbezieht. Der spätere Professor, damals ein junger Kerl, verrät eine Freundschaft, zerstört alles, was ihm bis dahin wichtig war – und hat daran bis zu den Gesprächen mit dem Kommissar im Dorf zu knabbern.

Und dann ist da unter anderem noch ein Tischler. Der viel mehr ist als nur ein Tischler. Er ist ein Künstler, der auf seine ganz spezielle Weise das Dorf prägt. Sei es mit den Werken, die er anfertigt, oder mit der Art, wie er sich gibt. Ihn mag Christoph Leuchter, der Klavier und Musikwissenschaft in Köln sowie Germanistik in Bonn und Aachen studierte und 2001 mit einer poetologischen Untersuchung zum mittelalterlichen Minnesang promovierte („Dichten im Uneigentlichen: Zur Metaphorik und Poetik Heinrichs von Morungen“), am liebsten von den Figuren in „Letzter Akt“. Warum? „Der Tischler überpinselt gerne seine Werke, macht alles neu. So ist der Roman auch ein bisschen entstanden.“ Da ist er wieder, der Künstler Leuchter. Der mit den Worten malt...

eine gewisse Leichtigkeit

Der Würselener unterrichtet an der RWTH Aachen Angewandte Textwissenschaft beziehungsweise Kreatives Schreiben. In seinem Roman malt er sehr prägnant, schildert immer wieder ausführlich, beispielsweise die Werkstatt des Tischlers und seine Arbeitsweise. Es sind durchaus schwere Themen, die in dem Buch angesprochen werden – geradezu symbolhaft eingeschoben wird etwa eine Betrachtung über Dante Alighieris Hölle. Aber gegen die Schwere setzt Leuchter immer wieder leisen Humor, auch Ironie. Und so hat der Roman trotz allem eine gewisse Leichtigkeit. Wie passend, dass er in der Toskana spielt...

Ob Christoph Leuchter sein Werk in die Bücherwand im heimischen Wohnzimmer stellt? Ohne Zögern kommt die Antwort: „Ja!“ Darauf sei er dann doch ein wenig stolz, meint er und lächelt – zurückhaltend, aber doch bestimmt.