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(in: GrenzEcho 17.5.2013)

Porträt: Der Weg zum Romanautor führte Christoph Leuchter erstmal auf unsicheres Terrain

Die Ideen zu seinen Romanen kamen dem Würselener Musiker und RWTH-Dozenten Christoph Leuchter schon vor vielen Jahren - aber der große Durchbruch blieb erstmal aus. Er blieb hartnäckig.

VON SEBASTIAN DREHER

Bei Dante ist die Hölle kalt. In seiner „Göttlichen Komödie“ beschreibt der italienische Dichter Dante Alighieri den neunten Höllenkreis als Eisloch tief im Erdinneren. Dort büßen die wirklich bösen Jungs – neben dem Erzverräter Judas noch die Verschwörer und Vatermörder Cassius und Brutus. Besonders perfide dabei: Immer wenn die Gefallenen ihr Schicksal beweinen wollen, gefrieren ihre Tränen zu Eis.

Angesichts dieses drastischen Themas stellt sich die Frage, warum Christoph Leuchter seinem Debütroman „Letzter Akt“ ein Dante-Zitat voranstellt, das eben diese höllische Folter-Situation beschreibt: „Vom Auge löst den harten Schleier mir, Dass ich die Pein im Herzen mag verhauchen, Eh wiederum gefriert dies Weinen hier“.

„Wie in der ’Göttlichen Komödie‘ geht es auch in meinem Buch um Schuld“, erklärt der in Würselen bei Aachen geborene Autor, Musiker und Universitätsdozent. „Und zwar um eine Schuld, deren Ursprung lange zurückliegt.“ Zu finden ist dieser Ursprung in Berlin zur Zeit der nationalsozialistischen Machtergreifung. Dort findet eine pikante Dreiecksbeziehung ihr dramatisches Ende – von dem die Hauptperson in der Gegenwart wieder eingeholt wird.

Diese Gegenwart wiederum spielt in einem abgelegenen toskanischen Dorf, in dem nur noch alte Menschen wohnen: ein verwirrter Lehrer, ein todkranker Apotheker, ein spinnerter Tischler und einige mehr. In diesem „Wachsfigurenkabinett inmitten der Hügel und Wälder“ (Leuchter) wird ein Toter gefunden und es scheint sich vordergründig eine Kriminalgeschichte zu entspinnen.

Aber es kommt anders, als man denkt. Mit „Letzter Akt“ geht Leuchter ein Wagnis ein, das sicherlich nicht jeder Romandebütant auf sich nehmen würde: Er führt den Leser in die falsche Richtung. Denn obwohl auf den ersten Seiten viele für einen Krimi wichtige Elemente etabliert werden, stellt der Autor bereits im zweiten Kapitel klar: „Fest steht damit nur, dass hier keine Kriminalgeschichte vorliegt.“ Vielmehr findet sich der Leser in einem komplexen Konstrukt mit verschiedenen Handlungssträngen wieder, das durch liebevoll herausgearbeitete Charaktere und detailreiche Beobachtungen besticht.

Erste Versprechungen verliefen im Sand. Es folgte die Zeit des Wundenleckens.

Christoph Leuchter hat früh mit dem Schreiben angefangen, schon als Kind hat er sich Geschichten ausgedacht. „Da muss ich noch unter zehn Jahren gewesen sein“, erinnert sich der Mittvierziger. Später hat der Pianist, Sänger und Chorleiter Texte für seine verschiedenen musikalischen Projekte geschrieben. Nach einigen Semestern Klavier- und Musikwissenschaftsstudium in Köln hat er in Aachen Germanistik und Geschichte studiert. Während seiner Promotion über ein mittelhochdeutsches Thema („Dichten im Uneigentlichen: Zur Metaphorik und Poetik Heinrichs von Morungen“) beschloss er, das Schreiben professionell anzugehen. Aus dieser Zeit stammt auch die erste Version von „Letzter Akt“, damals hieß die Story mit Bezug auf Dante noch „Mit vereisten Augen“.

Auch wenn an eine Veröffentlichung dieses Textes oder einer seiner anderen Manuskripte zu dieser Zeit noch nicht zu denken war, bekam Leuchter bald Feedback. 2001 und 2002 bekam er für „Mit vereisten Augen“ Stipendien des Literarischen Colloquiums Berlin, des Landes Nordrhein-Westfalen und des Berliner Senats. „Das war für mich ein guter Anlass, den letzten Schritt zu gehen und den Roman fertig zu schreiben“, sagt er. Und mit fertig ist nicht etwa gemeint, dass er ein paar Kapitel drangehängt und ein paar Dialoge verändert hat. In, wie er sagt, „bedeutungsschwangeren neun Monaten“ hat Leuchter eine mehr oder weniger neue Version seines Buches vollendet. Mit Erfolg, wie er damals dachte. Leuchter kam bei einer Berliner Agentur unter, hatte Lesungen auf der Leipziger Buchmesse und mehrere renommierte Verlage bekundeten Interesse. Doch am Ende klappte nichts davon, alles verlief im Sand und Leuchter konnte „die Sektflaschen wieder zu machen“.

Es folgte die Zeit des großen Wundenleckens. Irgendwann beschloss er, einfach weiterzumachen und am nächsten Text zu schreiben. Dazu griff er wieder auf ein altes Manuskript zurück, das er bereits 2004 begonnen hat: „Amelies Abschiede“. Bei der Überarbeitung machte Leuchter die Erfahrung, dass es keine schlechte Idee ist, Texte liegen zu lassen und später an ihnen weiterzutüfteln – auch wenn ganze Teile in den Papierkorb wandern. Und weil er mittlerweile eine Familie gegründet und sich in seinem Leben zwischen Musik, RWTH Aachen (an der er bis heute eine Dozentenstelle hat) und Schreiben ganz gut eingerichtet hatte, blieb er ganz cool. Er wusste genau, dass es irgendwann klappen wird.

Und es klappte. Nachdem er das neue Manuskript an einige Verlage geschickt hatte, zeigte sich Steidl interessiert an „Amelies Abschiede“, aber auch an dem ersten Roman. Steidl verlegt unter anderem Günther Grass und Bildbände von Karl Lagerfeld. Dann ging alles sehr schnell, die Göttinger wollten direkt einen Vertrag über zwei Bücher abschließen. Gemeinsam wurde überlegt, welches Werk als erstes erscheinen sollte. Die Entscheidung fiel auf das ältere Skript, vielleicht weil die Geschichte „etwas klassischer erzählt ist“, wie Leuchter vermutet. Allerdings wurde der Titel von „Mit vereisten Augen“ in „Letzter Akt“ geändert.

Geschafft: Leuchters Debütroman „Letzter Akt“ erscheint 2012 bei Steidl.

Sein Debüt steht mittlerweile seit über einem Jahr in den Buchläden. Seitdem hat er positive Rezensionen im „Stern“, in der „FAZ“, im Deutschlandradio Kultur und einigen Medien mehr erhalten, zahlreiche Lesungen hinter sich gebracht und war unter anderem für den Klaus-Michael-Kühne-Preis nominiert, der beim renommierten Harbourfront-Festival in Hamburg verliehen wird. Auch wenn er die Auszeichnung nicht bekommen hat, war es doch eine inspirierende Erfahrung,

Zum Harbourfront-Festival wird Leuchter dieses Jahr zurückkehren. Am 12. September präsentiert er dort „Amelies Abschiede – Eine Lügengeschichte“, so der komplette Titel des Buches, das er im März abgeschlossen hat. Anfang September soll der Roman erscheinen. Bis dahin will er schon an seinem dritten Roman arbeiten. Dabei kann und will er allerdings nicht auf ein bestehendes Manuskript zurückgreifen, sondern neue Ideen verarbeiten. „Diesmal geht’s ganz von vorne los!“

Christoph Leuchter
„Letzter Akt“
Steidl Verlag 2012
isbn 978-3869304632