„Literarisch“? Literarisch …

(in: CULTurMAG 23.5.2012)

(KK) Nicht jede Literatur ist literarisch. Doch das ist manchem Kreativling aus der einschlägigen Verlagswerbung offensichtlich schnurzegal. Wenn man dort meint, mal ein wenig für Distinktion sorgen zu müssen, kriegt das eine oder andere Produkt aus der hauseigenen Krimi-Küche gern das Prädikat „literarisch“ aufgepappt. Nur gut, dass man bei Steidl nicht derart peinlich die Backen aufbläst und das Debüt von Christoph Leuchter etwa als „literarischen Kriminalroman“ anpreist – was ihn übrigens davor bewahrt hat, beim Rezensenten gleich auf dem Nicht-wieder-Vorlage-Stapel zu landen.

So aber kann nun ein mit viel Witz und Atmosphäre aufwartender Kurz-Roman zur Lektüre empfohlen werden: kein „Krimi“ im gewohnten Sinne (auch wenn ein Toter, eine Rätsel aufgebende Todesart und ein überraschender Schluss nicht fehlen); statt dessen eine auf verschiedenen Ebenen spielende Geschichte: angesiedelt in einem auf sehr vitale Art aussterbenden Kaff in der Toskana, mit Protagonisten, die alle ein Leben und eine Geschichte haben – kurzum: ein kleiner, aber genauer Blick in nur scheinbar ganz normale Lebensumstände, deren Eigenart man erst ganz wahrnimmt, als ein Mann aus ihrer Mitte scheinbar ohne Grund an einem Scheunenbalken baumelt. Mord? Selbstmord? Aus welchem Motiv? Gab es da eine alte Schuld zu begleichen?

Schmerzhafte Erfahrung lehrt uns, dass viel zu viele Krimi-Plotter meinen, ihre Storys mit Rückgriffen in dunkle Vergangenheiten unheilschwanger aufmöbeln zu müssen. Ein allzu wohlfeiler Trick, um „Mystery“-Effekte zu produzieren. Nicht so Christoph Leuchter. Er geht einen anderen, zwingenderen Weg und schreitet mit seinen Protagonisten so einfühlsam wie sachlich vergangene, aber immer noch lebendige Ereignisse aus, wechselt dann wieder in eine auch nicht unschuldige Gegenwart und verklammert beides. Da dräut kein Fluch, da gebiert kein Schrecken neuen Schrecken, da erweist sich nur, dass auch dann Schuld entstehen kann, wenn es eigentlich an Vorsatz, böser Absicht oder gar schnödem Verrat eindeutig gemangelt hat.

Christoph Leuchter: Letzter Akt. Roman. Göttingen: Steidl Verlag 2012. 191 Seiten. 18,00 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.